2-Wege-TQWT mit hochwertiger Wavecor-Bestückung

Alex und ich gehen (mal wieder) ein gemeinsames Projekt an. Eigentlich müsste man sagen, dass wir ein gemeinsames Projekt angegangen sind, denn die Planungsphase, die in den letzten Wochen hier dokumentiert wurde, haben wir hinter uns gelassen und wir präsentieren einen durchentwickelten Lautsprecher. Anders als man es evtl. von uns erwartet, wenn wir gemeinsam etwas aushecken, ist es diesmal keine Box mit günstigen Treibern, sondern wir widmen uns diesmal Treibern, die sowohl kanglich als auch preislich zur Top-Riege ihrer Zunft zählen dürften. Der lautsprechershop.de bietet das komplette Sortiment der Wavecor Chassis an und gibt uns Support bei diesem Projekt. Die Chassis sind durch die Bank gut beleumundet und wir haben bereits 2014 einen Wavecor TMT in unserer "Against All Odds" eingesetzt, die den Lautsprecher-Contest 2014 gewinnen konnte.

Für das aktuelle Projekt haben wir uns den Wavecor WF152BD04 ausgeguckt, der zusammen mit der Kalotte TW030WA12 in einer schlanken TQWT spielen soll. Der Hochtöner hat Beginn 2015 bereits für Aufsehen gesorgt, da er vermutlich als bisher einziger HT bedenkenlos ab ca. 1kHz einsetzbar sein soll. Die entsprechenden Publikationen haben darüber berichtet. Wir glauben aber, dass der HT auch unabhängig von den Möglichkeiten, die er durch die tiefe Einsatzfrequenz hat, hohe klangliche Meriten bietet, die wir ihm entlocken wollen. Die Chassis der 152er-Reihe werden nicht zu Unrecht in vielen bekannten Bauvorschlägen eingesetzt. Wir haben uns den BD04 ausgesucht, weil Alex und ich (für uns nicht ganz ungewöhnlich) eine schlanke TQWT realisieren wollen, die in der Reihe der Vorschläge mit den 152ern Chassis noch fehlt. Die Gesamtgüte von 0,4 kommt uns da natürlich gelegen und auch die niedrigen Verzerrungswerte sprechen für das Chassis.

Die Bilder deuten es zwar an, aber die Chassis in den Händen zu halten ist noch beeindruckender. Das ist massives, hochwertiges 'Zeug' mit hoher Fertigungsqualität auch im Detail. Die Kalotte steht dem TMT nicht nach. Man hat bei der Kalotte beinahe eher das Gefühl, einen ausgewachsenen Mitteltöner in den Händen zu halten:

Die Simulation einer TQWT ist keine ganz triviale Sache, weil dabei Linienquerschnitte, Linienlänge sowie Port- und Chassisposition miteinander interagieren. Die gängigen online-Tools für Berechnungen von TQWTs können das nicht berücksichtigen und liefern generell höchst unzuverlässige Resultate. In der Regel sind die damit berechneten Linien zu groß und lang. Zu den effektiv zuverlässigen Berechnungsprogrammen zählen die Berechnungs-Sheets des Amerikaners Martin J. King, mittels derer wir die Tiefton-Simulation für diese Box gemacht haben.

Da wir wussten, dass wir aus genannten Gründen ein HT-Abteil aufsetzen würden, war die Chassispostion schon während der Simu so zu wählen, dass bei der späteren Faltung der Line der WF152 möglichst hoch sitzt, um auf der Schallwand nahe am HT platziert zu sein. Herausgekommen ist dies:

In dieser Linie spielt der TMT bei vollem Pegel bis 35Hz hinunter und kratzt bei 6dB Pegelabfall sogar an der 30Hz-Marke. Es war dabei sogar noch möglich, die zu erwartenden Portreflektionen zu minimieren:

Der TMT spielt dabei auf eine eigene Linie (Simu s.u.) und darunter bzw. darüber finden sich Weichenfach und HT-Abteil. Die Linie für den TMT ist effektiv etwas zu groß für eine Regalbox, wenn man das volle Tieftonpotential nutzen möchte. Abgesehen davon braucht der HT ein eigenes Abteil, da er mit seiner großen Bauform den Querschnittsverlauf der Linie signifikant verändern würde. Ich hatte in der Planung auch überlegt, das Weichenfach in das HT Abteil zu integrieren. Aber erstens ist da wegen der großen Kalotte gar nicht so üppig Platz und zweitens kommt die Box mit Weichenfach auf die 1m-Länge, die ich auch aus optischen Gründen immer wieder gerne anpeile. Ein etwas handfesterer Grund ist, dass der HT so mehr auf Ohrhöhe kommt, wenn man von einer 'handelsüblichen' Abhörsituation z.B. im Wohnzimmer ausgeht. Außerdem werden die Chassis vom unteren Weichenfach sehr bequem angesteuert, während die Weiche selbst dort unmittelbaren Anschluß an den Verstärker findet. Nicht zuletzt ist eine von unten zugängliche Weiche nicht so schlecht, wenn man doch nochmal etwas ändern oder reparieren möchte. Im folgenden Bild ist neben diesem generellen Aufbau der Box auch die Bedämpfung der Linie, auf welche der TMT spielt, gezeigt.

In der Regel lassen sich Störungen und Reflektionen bei TQWTs am effektivsten zu Beginn und am Ende der Linie bedämpfen. Daher ist es nicht ungewöhnlich, im Keil bis knapp unter den Treiber Dämpfungsmaterial einzubringen. Ebenso hat sich ein akustischer Sumpf am Ende der Linie in der Praxis vielfach bewährt.

Die Messungen mit dem Testgehäuse haben zum Einen gezeigt, wie viel Material an diesen Stellen in etwa einzubringen ist; zum Anderen wurde klar, dass die hohe Position des TMT in der gefalteten Linie am Teilerbrett zum Hochtonabteil anscheinend mehr Störungen produziert als sonst üblich. Während das Einbringen von Dämpfungsmaterial in der Mitte der Linie (ob gefaltet oder ungefaltet) oft keinen nennenswerten Erfolg zeigt, konnte der Noppenschaum in der Mitte der Linie und auf der Rückwand in diesem Fall Störungen im Mitteltonbereich erheblich reduzieren.

Wir haben aus unseren Experimenten mit der oben gezeigten Testbox außerdem mitgenommen, dass eine leicht veränderte Schallwandgeometrie mit außermittigem Hochtöner akustische Vorteile (s. Bild oben und Messungen weiter unten) bietet. Ferner wollen wir der wohnzimmertauglichen End-Version später eine andersfarbige Schallwand aufsetzen. Diese Erkenntnisse haben wir deshalb beim zweiten Testgehäuse umgesetzt und sie sind auch im finalen Gehäuse-Plan zu finden.

Schön zu sehen ist links im Bild, dass der akustische Sumpf hergestellt werden muss, bevor die zweite Seitenwand aufgeleimt wird. Die Anschlüsse für die Töner aus dem Weichenfach sind ebenfalls vorher gebohrt worden. Die Löcher wurden mit ausreichend Heißkleber verschlossen, um die Dichtigkeit des Gehäuses wiederherzustellen. Die Zuleitung für den TMT wird durch den Keil gelegt, die für den HT durch den hinteren Teil der Linie. Die Zuleitungen wurden ebenfalls mit Heißkleber im Gehäuse fest angebracht, um später Störungen durch lose Kabel im Gehäuse zu verhindern.

Das rechte Bild zeigt dann das Gehäuse vor dem Aufleimen der Schallwand. Ich würde empfehlen, die Bedämpfung des Keils vor dem Aufleimen der Schallwand vorzunehmen. Ich hatte geglaubt, das bequem später durch die Chassis-Ausfräsung machen zu können und musste dann etwas tricksen bzw. Hilfe von Jemandem in Anspruch nehmen, der kleinere Gliedmaßen als ich hat. In jedem Fall würde ich zumindest den unteren Teil, in dem das Material etwas fester eingebracht wird, vorher versuchen, zu bedämpfen. Mit Trickserei und kleinen Händen bzw. Armen ginge es aber auch später.

Die Schallwand habe ich 1mm breiter als das Gehäuse schneiden lassen, um Unzulänglichkeiten beim Gehäuse-Bau und / oder Aufleimen der Schallwand etwas ausgleichen zu können.

Zum Aufleimen habe ich zwei lange Reststücke Leimholz Buche auf die Schallwand gelegt,. Das hilft, den Druck der Schraubzwingen etwas gleichmäßiger zu verteilen und wird im Ernstfall eine hochwertigere Schallwand vor Beschädigungen durch die Zwingen schützen. Man sieht, dass es evtl. leicht zu viel Leim gewesen sein könnte, aber ich entferne lieber den Leim, als Zweifel bzgl. der Dichtigkeit des Gehäuses zu haben.

Wenn dann überschüssiger Leim entfernt und ggf. Überstände beseitigt sind, werden nur noch die Töner angeschlossen und eingeschraubt. Beim Hochtöner ergab es sich, dass wegen der außermittigen Position nahe beim TMT die Seitenwand der Box und der Teiler zur Linie wenige Millimeter in den Chassis-Ausschnitt ragten. Diese Überstände habe ich mit einer Raspel geglättet / entfernt.

Das ist natürlich Alles nicht uninteressant, aber die Frage danach, wie sich das misst, ist sicher mindestens ebenso spannend. Daher beginne ich dann hier mit der Messung unserer Wavetube 152 auf Achse:

Der Frequenzgang präsentiert sich extrem ausgewogen und linear. Im gesamten Frequenzband bewegen sich Abweichungen im Bereich von maximal +/-1 dB. Im folgenden Bild ist zu sehen, wo wir nach mehreren Versuchen unser Trennfrequenz festgesetzt haben.

Die Flanken verlaufen sehr schön symetrisch, es zeigen sich keine Störungen und die Flanken addieren sich perfekt zu einem makellosen Gesamtfrequenzgang. Die Messungen weisen eine Trennfrequenz von knapp 2,7kHz aus. Das scheint für einen Hochtöner, der in der Fachpresse ja insbesondere wegen seiner tiefen möglichen Einsatzfrequenz gelobt wurde, fast etwas hoch. Aber erstens haben wir während der gesamten Entwicklung das Verhalten der Box unter Winkeln von vornherein mitberücksichtigt. Zweitens hatte mir Daniel Gattig, vom Lautsprechershop, dem wir an dieser Stelle für den Support nochmal herzlich danken, in Vorgesprächen bereits berichtet, dass dieser HT unabhängig von einer möglichen niedrigen Trennfrequenz einfach ein Töner mit herausragenden akustischen Meriten ist. Da zudem der eingesetzte TMT noch erheblich höher spielen könnte, haben wir daher keine Probleme, die Trennfrequenz höher zu wählen, als man das evtl. erwarten würde.

Eben aufgrund der etwas höheren Trennfrequenz und der außermittigen Position des HT verhält sich die Box vorbildlich unter Winkeln:

Es zeigt sich bei dieser Messung über die kurze Seite (0-45°) keine effektive Aufweitung unter Winkel. Auch die Messungen über die lange Seite zeigen ein ebenso makelloses Bild:

Das Burst Decay Diagramm offenbart dann auch ein Spektrum ohne Störungen, deren Erwähnung sich lohnte.

Wir sind mit dieser Entwicklung mehr als zufrieden und haben lediglich eine Option noch offengehalten. Über die Änderung eines Bauteils (Erhöhen des Widerstandes im Tiefpass von 1,5 auf 2,2 Ohm)  kann im Präsensbereich unter geringer Abweichung von der Linearität etwas Pegel rausgenommen werden. Das kann in wenig bedämpften Räumen evtl. vorteilhaft sein. In meinem Hör-Raum ist es definitiv nicht nötig. Die Referenzlinie zeigt, wie sich die Box bereits in der derzeitigen Abstimmung unter minimaler Zurückhaltung im Präsenzbereich über das gesamte Frequenzband vorbildlich linear verhält.

Wie die Messungen das erwarten lassen, macht dieser Lautsprecher keine Fehler, löst toll auf, produziert eine schöne Bühne und klingt einfach nur angenehm und souverän. Mit der Bass-Abstimmung auf Mitte 30Hz und dem mehr als ausreichenden Hub des TMT bleiben dann eigentlich kaum Wünsche offen. Die Weiche bleibt dabei in einem vertretbaren preislichen Rahmen, der sich je nach gewählter Bauteilqualität im Rahmen von ca. 30 Euro bewegt. Dort wo es auf sehr genaue Werte ankommt, haben wir Folienkondensatoren vorgesehen. Diese bieten sich wegen geringer Bauteil-Toleranzen und nicht vorhandenen Alterungserscheinungen an. An anderen, unkritischen Stellen sei es dem Nachbauer anheim gestellt, zu entscheiden, ob er günstige Elkos benutzt oder ebenfalls Folienkondensatoren einsetzt. Teils haben wir sehr genaue Bauteilwerte durch parallele Schaltung von Bauteilen hergestellt, weil eine Box mit Chassis dieser Qualität auch diese 'Liebe zum Detail' verdient. Das sieht so aus:

 

Wer Bauteile sparen mag und bereit ist, kleine Toleranzen im Zehntel-dB-Bereich hinzunehmen, kann an folgenden Stellen anstatt der parallelen Schaltung das nächst nahe Standard-Bauteil verwenden: statt 2 x 5,6µF im Tiefpass einen 12µF Elko, statt parallelen Serienwiderständen (2.2 und 6.8 Ohm) 1.8 Ohm, statt parallelen Parallel-Widerständen (3.3 und 10 Ohm) 2.2 Ohm. Das wäre immer noch mehr als hinreichend genau und ob man die kleinsten messbaren Unterschiede am Ende überhaupt hört, (weil andere Faktoren wie Aufstellung im Raum z.B. mehr Einfluß nehmen,)  sei dahingestellt. Für das gute Gewissen und um der Qualität der Chassis Rechnung zu tragen, haben wir es diesmal etwas genauer genommen. Zwei zusätzliche Widerstände und ein weiterer Kondensator reißen schließlich kein all zu großes Loch in den Geldbeutel.

Generell wollen wir für Interessierte die Schritte der Weichenentwicklung in ihrer jeweiligen Zielstellung dokumentieren, um das Vorgehen bei der Beschaltung im Detail zu erläutern. Hier geht es zur Dokumentation der Entwicklung der Weiche. Hier geht es zum Bauplan des Gehäuses.

Stand 12.11.2015

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Kommentare: 7
  • #1

    Ernie (Samstag, 11 November 2017 02:33)

    Eine absolut geniale Box!!! Danke für diese tolle Entwicklung!

  • #2

    Klemens (Freitag, 18 Mai 2018)

    Nach 4 Monaten mit diesen Lautsprechern hier noch ein Fazit von mir:
    Ich bin angekommen. 15 Jahre habe ich mich mit dem Thema Hifi beschäftigt, davon 10 Jahre mit DIY. Vom kleinen Breitbänder über FAST-Systeme und konventionelle 2-Wegerkam ich zu der Erkenntnis, dass gutes Hifi in einem normalen Wohnzimmer nicht möglich ist(ohne meine Partnerin mit Absorbern und anderen Maßnahmen zu verjagen). Was für ein Irrtum.
    Die Musik steht jetzt im Vordergrund. Es fehlt nichts, es stört nichts. Außer vielleicht die schlechten Musikaufnahmen ;-)

    Vielen Dank für dieses gelungene Projekt!!!

  • #3

    Paul (Mittwoch, 29 September 2021 18:47)

    Dear Gazza, thank you very much for the great design. I've built speakers with digital crossover and bi-amping. Sounds great with a bit of equalization.

  • #4

    ronmann (Freitag, 29 Oktober 2021 17:59)

    Warum wird die 30mm Kalotte eigentlich immer mit einem Hochpass dritter Ordnung beschaltet?
    Auch die großen Fachzeitschriften machen es so.
    Dabei ist die doch total gutmütig und belastbar.

  • #5

    Niko Mölter (Dienstag, 15 Februar 2022 09:32)

    Guten Tag
    Bei der Betrachtung des Bauplans bin ich auf eine, in meinen Augen, Ungereimtheit gestossen.
    Die Front ist 190mm breit. Die Wandstärke der Seitenteile jeweils 22mm. Wenn ich nun auf die Breite der Boden-, Deckel- und Innenteile kommen möchte muss ich 2x22 von 190 subtrahieren. Das ergibt 146mm. Im Bauplan sind aber 145mm angegeben. Fehler oder Absicht?
    Mit besten Grüßen

    NIKO MÖLTER

  • #6

    Gazza (Dienstag, 08 November 2022 08:56)

    Moin,

    man kann eine solche Kalotte natürlich anders beschalten. Das hängt aber vom gewünschten Resultat und vom Spielpartner ab. In vielen Zeitschriften wurde die Kalotte recht tief eingesetzt und darunter hat aus meiner Sicht das Verhalten unter Winkeln gelitten.
    Bei der Wavetube ist es so, dass der Spielpartner mit Blick auf Minimierung von Resonanzen mit 18 dB beschaltet ist. Daher bietet es sich an, die Kalotte bzgl der Filtersteilheit für ein ausgewogenes Gesamtergebnis (Symetrie der Filterflanken) ähnlich zu modellieren. Das Resultat passt und gerade die Bauteile im Hochpass-Filter sind entsprechend günstig.

    LG Gazza

  • #7

    Gazza (Dienstag, 08 November 2022 08:59)

    Moin,

    es handelt sich im Bauplan um keinen Fehler, sondern ich habe hier jeweils einen halben Millimeter Leimstärke zwischen Front und Seitenwänden berückschtigt.

    LG Gazza